Neue Traditionen braucht das Land
Arbeit, Wiedervereinigung und Jesus feiern wir Deutschen schon seit Ewigkeiten. 7 Ideen, die ein wenig Schwung in den Festkalender bringen.
Na, Herr Seehofer, haben Sie es sich schon schön heimelig gemacht in Ihrem Heimat-Museum … äh, -Ministerium?
Das Rebranding des Innenministeriums zum Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat soll dabei helfen, Deutschland wieder gemütlicher zu machen. Die Deutschen sollen sich nicht mehr so viel sorgen. Den Innenminister verbinden alle mit Terror, Überwachung, Krise. Aber ein Heimatminister – der verspricht Gemütlichkeit, Sicherheit, Tradition.
Aber was ist das eigentlich, Tradition?
Tradition: von lateinisch tradere, »hinübergeben«, oder traditio, »Übergabe, Auslieferung, Überlieferung«
Traditionen sind über Generationen weitergegebene Verhaltensmuster. Sie prägen das, was man Kultur nennt. Traditionen geben dem Leben Takt. Sie unterbrechen den Alltag und erinnern an das, was Menschen wichtig ist. Tradition heißt aber nicht Stillstand. Bräuche passen sich an, werden vergessen – oder ganz neu erfunden.
Und weil der Herr Seehofer mit der Neuerfindung des Innenministeriums schon bewiesen hat, dass er Lust auf Neues hat, haben wir da noch ein paar Ideen für ihn. 7 neue Feiertage, an denen es sich garantiert ganz Deutschland gern gemütlich machen würde.
Frühstücken gegen Krieg
von Juliane MetzkerIn Nordafrika geht nicht nur die Liebe, sondern auch der Frieden durch den Magen. Eine 1.000 Jahre alte Tradition bringt jedes Jahr Stammesmitglieder aus Mauretanien, Marokko, Tunesien, Algerien und Libyen zusammen – zum gemeinsamen Frühstück. Idernan nennen die Einheimischen
Vielleicht sollten wir auch in Deutschland einfach mal wieder häufiger zusammen essen.
Ihre Geschichte begann schon im alten Ägypten. Seit der
Vielleicht sollten wir auch in Deutschland für ein besseres Miteinander einfach mal wieder häufiger zusammen essen – oder auch um endlich einmal unsere Meinungsverschiedenheiten an und auf den Tisch zu bringen.
Hanami: Alles hat seine Zeit
von Isabella AberleWenige Pflanzen sind so fest mit einem Land verwachsen wie die
Der Verlauf der »Kirschblüten-Front« wird wochenlang gleichberechtigt mit dem Wetterbericht im Fernsehen erörtert. Wo die Kirsche erblüht, wird Hanami gefeiert, das Herzensfest der Einwohner, das ohne festen Termin auskommt.
Warum berührt ein flüchtiges Naturphänomen in Japan so viele Menschen?
Tatsächlich liegt der Zauber der Blüte
Feiere das Zauberwort!
von Katharina EhmannDas Wort »Danke« rutscht uns im höflichen Nebenbei routiniert über die Lippen. Im Smalltalk beim Bäcker, gegenüber der Kollegin, die uns die Tür aufhält, beim Abendessen, weil uns der Partner die letzte Gabel Pasta überlassen hat.
In den USA zelebrieren die Menschen ihre Dankbarkeit sogar mit einem eigenen Feiertag:
Dabei hat Thanksgiving als Feiertag echtes Potenzial. Die Dankbarkeit bedeutet Wertschätzung und Respekt, auch dir selbst gegenüber.
Studien konnten zeigen, dass Dankbarsein das körperliche und seelische Wohlbefinden und unseren Schlaf
Durch einen ehrlichen Dank gibst du also nicht nur deinem Gegenüber etwas zurück. Dankbarkeit ist eine innere Haltung, ein Aufmerksamsein für das Gute, was dir passiert, und für das, was du bereits hast. Dankbarkeit bedeutet Wertschätzung und Respekt, auch dir selbst gegenüber.
Warum also nicht einen Tag einführen, an dem wir uns besonders in Dankbarkeit üben? An einem Tausend-Dank-Fest könnten wir ganz bewusst über automatisierte Floskeln hinausgehen und gemeinsam mit den Menschen, für die und denen wir dankbar sind, den Blick auf das Gute im Leben richten.
Nicht die Glücklichen sind dankbar. Es sind die Dankbaren, die glücklich sind.
Eine rauschende Party zu Ehren der Toten
von David EhlDas wunderbar makabre deutsche Wort »Leichenschmaus« steht für eine schöne Tradition: Unmittelbar nach der Beerdigung begibt sich die Trauergemeinde in ein Gasthaus, um dem Verstorbenen bei Kaffee und Kuchen und später auch Alkohol
Verglichen mit den
Vor einigen Jahren habe ich unweit des Victoriasees an einem »Memorial Service« teilgenommen, dem das deutsche Wort »Leichenschmaus« keinesfalls gerecht wird. Diese Zeremonie findet frühestens ein Jahr nach dem Tod statt, in diesem Fall waren es 3 Jahre.
Eine rauschende Party zu Ehren einer Toten.
An einem gewöhnlichen Tag kannte ich die meisten Menschen in dem winzigen Dorf mit Namen. An diesem Tag strömten jedoch schon im Morgengrauen aus allen Himmelsrichtungen über schmale Pfade Menschen auf den Dorfplatz, die ich noch nie gesehen hatte. Die Frauen hatten sich hinter eine Plastikplane zurückgezogen, um auf einer riesigen Feuerstelle Unmengen von Essen zuzubereiten. Die Männer saßen um einen Alten herum, der auf einer Laute spielte und dazu in Luo sang, es wurde getanzt. Den Tag über gab es Softdrinks und selbstgebrautes Maisbier aus Kalebassen, Essen bis zum Abwinken und einen selbstgebrannten Schnaps hinterher.
Irgendwann knatterten aus dem Nachbardorf einige Motorräder herbei, auf jedes eine große Lautsprecherbox geschnallt. Am Abend war die Anlage aufgebaut, und der wummernde Beat übertönte den Generator, der den Strom bereitstellte. Eine rauschende Party zu Ehren einer Toten, zu einem Zeitpunkt, an dem man den Verlust bereits verarbeitet hat – warum halten nicht auch wir die Erinnerung an unsere Toten so lebendig?
Frauensolidarität statt Muttertag
von Katharina WiegmannAls ich während meiner Zeit in Tschechien mit vielen Ukrainerinnen und Russen zusammenarbeitete, wusste ich erst gar nicht, was los war: Für mich war es ein ganz normaler Tag Mitte März, für die anderen Frauen offenbar ein Feiertag. Sie beschenkten sich gegenseitig mit Pralinen und Rosen, bei einigen der älteren Damen mit Familie in Prag kamen die Enkelinnen mit Blumensträußen vorbei. Russische Kollegen posteten in meiner Facebook-Timeline Bilder von Frauen mit hochgekrempelten Ärmeln und You-Can-Do-It-Attitude: »Alles Gute zum Frauentag!«
In Russland und anderen ehemaligen Ostblockstaaten ist
Klar, auch in den postsowjetischen Staaten denken Frauen und Männer am 8. März heute nicht mehr unbedingt an streikende Arbeiterinnen. Das
Mit seiner besonderen Geschichte hat der (in einigen Ländern tatsächlich arbeitsfreie) Feiertag dennoch Potenzial: Als Tag der Rechte aller Frauen (auch der Mütter!) und der
Einmal Utopie und zurück
von Dirk WalbrühlJedes Jahr im September treffen sich Menschen aus aller Welt in der unwirtlichen Black Rock Desert im Bundesstaat Nevada. Auf kargem Wüstenboden errichten sie
Was 1986 als spontane Idee des Künstlers Larry Harvey und seiner Freunde zur Sommersonnenwende begann, ist heute zur modernen Tradition geworden, angeleitet von den 10 Prinzipien des »Burning Man«: Es gibt kein Geld, Fremde treten einander offen gegenüber und helfen einander freigiebig. Das klingt nach
Das Original-»Burning Man« gibt es nur in den USA. Doch die Tradition inspiriert Zusammenkünfte zwischen Musikfestival, Erlebniserfahrung und Kunstaustellung rund um den Globus –
Raksha Bandhan: Das Fest der geschwisterlichen Verbindung
von David SamhammerWer sich in seinem Leben schon einmal über ein Freundschaftsband freuen durfte, hat sich vielleicht auch schon gefragt, woher diese Geste eigentlich kommt. Raksha Bandhan ist ein hinduistischer Feiertag, der je nach Region zwischen Ende August und Anfang September in Indien gefeiert wird. Traditionell knüpfen Frauen und Mädchen Armbänder aus Baumwolle oder Seide, die sie dann ihren Brüdern schenken. Die Bänder symbolisieren Zuneigung und sollen den Träger segnen. Ich bin kein großer Fan von spontan gekauften Geschenken, die ohnehin bald im Müll landen.
Die Brüder überreichen anschließend ebenfalls ein Geschenk oder manchmal sogar ein bisschen Geld, zusammen mit dem Versprechen, ihrer Schwester Beistand im Leben zu leisten.
Heute wird das Fest vielerorts etwas moderner gefeiert. Statt nur dem Bruder werden auch engen Freunden und Nachbarn Bänder an die Handgelenke gebunden, um an die freundschaftliche Beziehung untereinander zu erinnern.
Ich erinnere mich nur sehr schwer an Geburtstage und bin kein großer Fan von spontan gekauften Geschenken, die ohnehin bald im Müll landen. Ich hätte sehr gern einen Tag im Jahr, an dem ich Menschen zeigen kann, dass sie mir wichtig sind. Eine indische Freundin hat mich darauf hingewiesen, dass Männer eigentlich keine Bänder verschenken. Ich werde ihr dieses Jahr trotzdem ein Band basteln. Traditionen verändern sich.
Mit Illustrationen von Lucia Zamolo für Perspective Daily